Steht der Freiheit wirklich nichts im Wege?

Seit mehr als einer Generation leben wir in Frieden und Freiheit. Besonders eine freie Gesellschaft benötigt Regeln und Menschen, die diese befolgen. Die Grenze zwischen Regel und Bevormundung aber ist schmal. Es gilt, diese immer wieder zu hinterfragen, damit die Freiheit bleibt.

Die Freiheit, zu reisen: Conrad Fischer im Valle de Muerte bei San Pedro de Atacama, Chile

Mein Vater, Dr. Otto Fischer, war ein freier Geist, ein Liberaler, wie er sich selbst bezeichnete. Keine leichte Positionierung, die er sich als Druckunternehmer im Nachkriegsdeutschland in der Kleinstadt Melsungen leistete. Ende der 60er Jahre war Deutschland nach Jahren des Aufbaus mitten in einem heftigen gesellschaftlichen Umbruch.

Unternehmertum, Politik und Sport, das waren die Leidenschaften meines Vater. Als Jugendlicher habe ich ihn wenig gesehen, zu beschäftigt war er dafür, und doch war er immer da.  Er war da, wenn ich ihn brauchte, und er war in meinem Geist anwesend. Es waren trotz aller Freiheiten deutliche Leitplanken gesetzt, Grenzen, die ich spürte und die mir Halt gaben.

Auch die Freiheit hat Grenzen

Mein Vater war Schwimmer, freundschaftlich nannten ihn alle „1000-Meter-Otto“, denn diese 1000 Meter waren das absolute Minimum, wenn er ins Wasser stieg. Melsungen hatte bis 1972 kein eigenes Schwimmbad, und so fuhren wir im Sommer ins benachbarte Homberg. Während der Fahrten hatte ich ihn allein für mich. Meist hatte ich das Auto schon abfahrbereit auf dem Betriebshof positioniert. Ich hatte zwar noch keinen Führerschein, aber ich konnte das Auto auf dem Hof frei bewegen. Wenn wir dann unterwegs waren, durfte ich schalten, er kuppelte. Später bin ich dann auch mal gelegentlich ohne Führerschein auf öffentlichen Wegen gefahren. Irre. Es waren die kleinen, gelegentlich verbotenen Freiheiten, die uns verbanden.

Später dann war ich bei den Jungdemokraten. Aus heutiger Sicht war die Jugendorganisation der FDP ein linker Haufen, links von den Jusos. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir als Schüler regelmäßig einen kleine Zeitung an der Schule veröffentlichten. „Kontraste“ nannten wir die. Der Name war Programm, angelehnt an das Magazin „Konkret„, das damals im Blätterwald den freiheitlich gesinnten Aufbruch am radikalsten vertrat. Radikal waren auch die Thesen, die wir in dem Heft veröffentlichten. Gegen den Revanchismus, gegen den Krieg und für die totale Freiheit. Erstaunlich, dass uns mein Vater die Zeitungen kostenlos druckte, denn es waren zum Teil echte Hetzschriften. Irgendwann müssen wir es dann übertrieben haben. Wir wurden einbestellt, die gesamte Redaktion, unsere alten Herren hatten schon Platz genommen. Das erwartete Donnerwetter blieb aus. Anstelle wurde an uns appelliert, bei aller zum Teil berechtigten Kritik unsere Wurzeln nicht zu verleugnen. Das Gespräch entfaltete die von unseren Vätern beabsichtigte Wirkung. Keine Verbote, aber Leitplanken.

Die Kultur einer sachlichen Auseinandersetzung fehlt

Freiheit ist ein Gut, das immer wieder erkämpft werden muss, um erhalten zu bleiben. Freiheit braucht eine Richtung, ein Ziel, einen gewissen gesellschaftlichen Konsens und Disziplin. Wir leben in einer der freiheitlichsten Gesellschaften der Welt. Aber ich empfinde unsere Freiheit als bedroht. Nicht nur durch immer neuen Vorschriften und Gesetze, sondern auch von der Macht der Konzerne wie Apple, Google, Facebook oder auch Nestle. Vor allem aber empfinde ich auch unsere eigene Bequemlichkeit bedroht. Es geht uns zu gut. Scheinbar nichts, um das es sich wirklich zu kämpfen lohnt. Die Richtung, das Ziel und das Durchhaltevermögen fehlen. Und was vor allem fehlt, ist eine Kultur der konstruktiven Auseinandersetzung. Denken wir nur an die jüngst für Einzelne persönlich unterirdisch geführte Diskussion um das Urheberrecht. Das Internet macht es möglich, Menschen auf übelste Weise zu diffamieren. Brutalstmöglich und ohne sich selbst zu erkennen zu geben.

Der Mut zur offenen Auseinandersetzung ist etwas, was ich an meinem Vater bis heute bewundere. Er konnte streiten, sehr engagiert, bis aufs Messer, aber immer um die Sache. Er wurde nie persönlich, na ja selten. Mein Gott haben wir miteinander gestritten. Sehr anstrengend war das. Nicht immer wurden wir uns einig, aber das war dann auch gut. Und das Wichtigste: Wir waren uns nie böse. Maximal einmal drüber schlafen, dann ging´s weiter.

Die Werte zählen

Die Leitplanken meines Vater haben mich mein Leben lang begleitet. Vor allem aber seine Authentizität. Er hatte einen Standpunkt. Er stand hinter dem, was er sagte. Man konnte sich auf ihn verlassen. Wahrscheinlich bin ich im elterlichen Betrieb Bernecker eingestiegen, weil er mir vermitteln konnte, wie süß Freiheit schmecken kann, trotz oder gerade wegen der Herausforderungen, die ein Unternehmerleben bereithält. Auch heute noch konsultiere ich meinen Vater, führe im Geiste Dialoge mit ihm. Für die Werte, die er mir vermittelt hat, bin ich unglaublich dankbar.

Es lohnt sich, für unsere freiheitlichen Werte zu kämpfen.

Fotos: Felix Fischer und shutterstock


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Conrad Fischer