Das Handwerk stirbt und damit die Geschmacksvielfalt

Nicht nur die Artenvielfalt in der Natur geht zurück, sondern auch viele Berufe, die für handwerkliche Sorgfalt und Qualität stehen verabschieden sich. Mit jedem kleinen Betrieb der verschwindet, wächst die Konformität des Angebots. Am besten ist das in den Großstädten zu beobachten. Ob Berlin, London, München, Barcelona, Budapest. Überall das fast gleiche Angebot, der gleichen Filialisten. Das Handwerk und der mittelständische Einzelhändler sterben aus.

Ahle Wurscht, ein nordhessisches Naturprodukt. Das Gehackte muss schlachtwarm verarbeitet werden. Jeder Schlachter hat sein eigenes Rezept. Das macht die Vielfalt aus

Eine Meldung in der Tageszeitung schreckt mich auf: „Fleischerei Weiler schließt im August.“ Der nächste Fleischer in der Region der aufgibt. Das nächste Stück handwerkliche Heimatgeschichte das verschwindet. Besonders gern mochte ich den Fleischsalat aus eigener Herstellung. Ich liebe Fleischsalat und der aus Körle war der beste. Sie kennen das: Schon beim Anblick der Schachtel läuft das Wasser im Mund zusammen. Lecker!

Nur industriell gefertigte Lebensmittel von Aldi oder Lidl?

In meiner Jugend gab es in der Straße, in der ich aufgewachsen bin vier Metzger. Vier auf einer Staßenlänge von ca. 800 Metern. Teilweise Tür an Tür. Und sie alle hatten ihr Auskommen. Heute existiert keiner von denen mehr. Bei  Bäckereien ist es ähnlich. Filialiserte Großbäckereien dominieren das Angebot. Nur noch ein kleines Geschäft hält die handwerkliche Tradition aufrecht. In meiner Jugend hatten wir mehr als acht selbständige Bäckermeister in Melsungen. Standardisierte Aufbackware, hat das ehrliche Brötchen verdrängt. Sehr Schade! Artensterben also auch beim Handwerk. Wieso nur? Wollen wir wirklich nur noch den konformen, gleichgeschalteten Geschmack der Industrieprodukte von Lidl oder Aldi. Diese aufwändig in Plastik verpackten Convinience Produkte, aufgepeppt mit Geschmacksverstärkern und Chemie, automatisiert in der Herstellung, pappig nach einer Stunde und angepasst an den deutschen Durchschnittsgeschmack?

Handwerk unter Druck

Die Gründe warum die kleinen Betriebe aufgeben sind immer die gleichen: Hoher Anspruch der Verbraucher, Überregulierung der Verwaltung, Personalnot, hohe Arbeitsbelastung, Preiskampf mit den Großbetrieben oder Filialisten und kein Parkraum vor der Tür.

Früher wurde ein Schwein komplett verwertet. Aus den Abfällen wurde z. B. Seife. Heute lassen sich nur die besten Stücke eines Schweins verkaufen. Der Rest wird entsorgt. Auf Kosten des Fleischers. 18 Millionen Tonnen essbare Lebensmittel werfen die Deutschen pro Jahr weg. 60% davon werden beim Hersteller verschwendet immerhin 40% gehen zu Lasten des Verbrauchers. Unglaublich, wie wir mit wertvollen Ressourcen umgehen.
Die Geschäftsinhaber stehen vom morgens 7 bis abends 18 Uhr im Laden. Das ist die reine Verkaufszeit, aber die Ware muß auch präsentiert werden und der Samstag ist auch ein Arbeitstag. Die Buchhaltung wird dann am Abend erledigt.

Hinzu kommt der Druck aus der Digitalisierung der Geschäftswelt. Alles muß heute schnell gehen. Alles ist standardisiert zunehmend automatisiert und optimiert. Systematisch wird so dem Mittelstand die Lebensgrundlage entzogen. Und zu allem Überfluss gängelt der Staat die Menschen, die derart leitungsbereit sind mit ständig neuen Vorschriften und Verordnungen.

Kleine Städte als Museen

In den Klein- und Mittelstädten atomisiert sich die über Jahrhunderte gewachsene Struktur von inhabergeführten Kleinbetrieben. Der Kleine schließt der Filialist kommt. Schlimmer, meist steht nach Schließung des Geschäfts der Laden anschließend leer. Mieteinnahmen, die zum Erhalt der meist schönen alten Häuser nötig sind, fehlen. Die Innenstädte veröden.  Und mit den Geschäften verschwinden die Menschen, verschwinden die Mieter, verschwindet das Leben.

Am Ende überleben die Museumsstädtchen oder Dörfer wie z. B. Riquewihr im Elsass. 1200 Einwohner und über 2 Millionen Besucher im Jahr. Auch Melsungen hat gewissen musealen Charakter. Das Fachwerkensemble der Innenstadt ist einzigartig. Seit Jahren wächst allerdings der Leerstand bei den Geschäften. Damit sinkt die Attraktivität der Gemeinde als Einkaufsstadt, ein Teufelskreis.

Riquewihr in Frankreich
Riquewihr in Frankreich ist ein Beispiel für ein Dorf mit musealem Charakter. Viel kleine Geschäfte, Handwerk, und schöne alte Häuser, so wie früher.

Wohin führt das?

Ist die Entwicklung noch aufzuhalten? Ich glaube nein. Der Verbraucher hat klare, relativ einfache  Entscheidungsmuster. Günstig muß es sein und bequem. Am liebsten vom Mobilgerät aus bestellt und direkt ins Haus geliefert. Und wenn schon Einkaufen gehen, dann alles ein einem Platz, mit Parkplatz, möglichst wenig bewegen, das ist die Devise.

Am deutlichsten lassen sich die Fehlentwicklungen am Wasser beobachten. Wasser in Plastikeinwegflaschen ist das wohl dümmste Produkt auf Erden. Ein Produkt ohne Nutzen, denn gutes Trinkwasser kommt aus der Leitung.  Wert der Ware und Verpackung stehen genau so im Missverhältnis wie die suggerierte Qualität und der Verpackungssaufwand. Plastik ist leichter als Glas und Einweg muß man  nicht zurückbringen. Zwanzig Cent Pfand, lohnt den Weg nicht. Krank! Wasser, ein Produkt aber mit dem Milliarden gescheffelt werden.

Was können wir also tun?  Wir können regional kaufen, auf die Herkunft der übrigen Waren achten, überfüssige Verpackung einsparen. Das wird aber alles den Lauf der Zeit nicht aufhalten.

Fotos shutterstock



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Conrad Fischer