Über Verantwortung in Familienunternehmen

In den letzten Jahren habe ich zweimal 150-jährigen Unternehmens-Geburtstag gefeiert. 2019 bei Bernecker, und 2022 Jahr bei dem inzwischen zu Bernecker gehörenden Neumann-Neudamm Verlag. Wenn ein Familienunternehmen 150 Jahre alt wird, dann gibt es viel zu erzählen. Die Unternehmen haben in dieser Zeit zwei Weltkriege, drei Währungen und vier Staatsformen erlebt. Stoff genug mehrere Bücher zu schreiben. Nicht immer gelingt es die Verantwortung in der Familie auf die nächste Generation zu übergeben.

Buchdruckerei Bernecker in den 70er Jahren
Das Bernecker Verlags- und Druckereigebäude in den 70er Jahren. Der kleine Stadtgarten befand sich hinter dem Gebäude. Unser Wohnhaus lag eine Straße gegenüber.

Wenn man als Kind in einer Unternehmerfamilie groß wird, sitzt das Unternehmen immer mit am Tisch. Es ist Thema beim Frühstücks-, Mittags-, und Abendessen. Auch in den Urlaub fährt es mit. Meine Eltern waren beide selbstständig. Meine Mutter führte die Buchhandlung und mein Vater den Verlags- und Druckereibetrieb. Beide waren mit Leidenschaft Unternehmer. Ich habe das nie als Belastung erfahren, auch wenn beide sehr viel gearbeitet haben und die Diskussionen bei Tisch oft heftig waren. Für uns Kinder hatten sie immer genug Zeit. Im übrigen, wir waren froh, wenn wir unsere Ruhe hatten. Das bedeutete Freiheit für uns. Denn Freiheit war und ist bis heute ein sehr wichtiges Gut für mich.

Die Verantwortung wird gern vererbt

Etwas anderes ist es, was beim Heranwachsen drückt. Die Verantwortung, die Familientradition fort zusetzen, wird spätestens am Ende der Pubertät ein Thema. Das gesamte persönliche Umfeld erwartet, dass man Verantwortung übernimmt. „Du machst das doch weiter“, oder „Wann kommst Du denn?“ sind die Fragen, die man zunehmend oft, insbesondere aus Kreisen der Belegschaft, gestellt bekommt. Von meinen Eltern habe ich zum Glück nie Druck bekommen, dennoch die Erwartung ist unterschwellig immer da. Für Außenstehende ist diese Frage vor der jedes Unternehmerkind schnell  beantwortet, für den Betroffenen aber stellt sie eine erste große Herausforderung dar.

Ich habe nicht sehr lang dazu gebraucht, um mich einerseits von der Erwartung frei zu machen, und anderseits aktiv die Entscheidung für das Unternehmen zu fällen. Drei Jahre Abstand von zu Hause, und ein zwar gut bezahlter erster Job in der Schweiz haben ausgereicht, um zu wissen, dass ich nicht abhängig beschäftigt sein will. 1984, mit 28 Jahren, bin ich nach Melsungen zurück und bei Bernecker eingestiegen. Eine gute Entscheidung, die trotz einiger schwieriger, ja teilweise existenzbedrohender Jahre, nie bereut habe. Ich war schon von frühester Jugend an dem Unternehmen interessiert. An den Wochenenden, wenn meine Eltern im direkt hinter der Druckerei gelegenen kleinen Stadtgarten entspannten, war ich in der Druckerei, um zu helfen. Meist an den Druckmaschinen; das faszinierte mich: die Technik, das stampfende Geräusch und der Geruch von Druckerfarbe. Als junger Mann konnte ich viele der im Unternehmen befindlichen Maschinen selbst bedienen.

Seit dieser Zeit begleitet mich ein Spruch, den mir meine Kindertante Tilly mit auf den Weg gegeben hat. „Was Du ererbt hast von Deinen Vätern, erwirb es um es zu besitzen.“ Der tiefere Sinn der Worte erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Das Erbe ist zwar geschenkt, aber etwas daraus zu machen, zu gestalten, das ist die Aufgabe, die daraus entsteht. Und das hat für mich vor allem mit Verantwortung zu tun.

Fotosatz mit dem Composer
Mit meinem Vater Otto lasse ich mir die neuste Technik erklären. Der Composer eines der ersten Fotosatzgeräte. Bernecker war einer der ersten Betriebe in Deutschland die von Blei auf Fotosatz umstellten. Ein Quantensprung in der Produktivität.

Das Besondere an Familienunternehmen

Familienunternehmen sind etwas Besonderes. Sie unterscheiden sich aus meiner Sicht im Wesentlichen durch drei Dinge von durch Managern geführten Unternehmen:

Erstens: in Familienunternehmen gibt es einen Unternehmer, der in der Regel mit Leidenschaft dabei ist und sehr oft mit seinem gesamten Vermögen hinter der Firma steht. Das bedeutet:

Zweitens: Familienunternehmer tragen Verantwortung, die über das Unternehmen hinausgeht: für die Region, vor allen aber für die Mitarbeiter und deren Familien. Diese Verantwortung und die Verwurzelung in der Kommune, ist stärker und beständiger als die eines Managers. Soziale Verantwortung, die heute überall und vollmundig eingefordert wird, wird hier gelebt, regionale Verbundenheit wird durch vielfältiges Engagement im ehrenamtlichen Bereich gezeigt.

Drittens: Familienunternehmer denken und handeln nachhaltig. Das ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass die Unternehmensentscheidungen langfristig geplant und durchdacht werden und nicht allein dem Ziel der Gewinnmaximierung dienen. Ich ergänze für uns: wir sind der Natur und unserer Heimat verpflichtet.

Ohne pathetisch zu sein, und den Wert nicht familiengeführter Unternehmen zu schmälern, wünsche ich mir für meine Nachfolger, dass die Leistung der Familienunternehmer für unsere Gesellschaft mehr geschätzt wird. Deren soziales Engagement und generationsübergreifendes, anpackendes Handeln sorgt für wirtschaftliche Stabilität in diesem Land.

Ich bin sehr dankbar, dass bei Bernecker die sechste Unternehmergeneration erfolgreich am Start ist.



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